Abgrenzungen, Verflechtungen, Aufbruch? Neue Perspektiven auf Migration und Einwanderungsgesellschaft in Geschichtswissenschaft und Public History

CfP: Abgrenzungen, Verflechtungen, Aufbruch? Neue Perspektiven auf Migration und Einwanderungsgesellschaft in Geschichtswissenschaft und Public History

Veranstalter
Hessisches Institut für Landesgeschichte (HIL), Marburg, in Kooperation mit der Professur für Hessische Landesgeschichte, Philipps-Universität Marburg, und dem Institut für Geschichte, TU Dresden (Sabine Mecking / Wilfried Rudloff / Stephanie Zloch)
Ausrichter
Sabine Mecking / Wilfried Rudloff / Stephanie Zloch
Veranstaltungsort
Hessisches Staatsarchiv Marburg
PLZ
35037
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2024 - 20.09.2024
Deadline
16.02.2024
Von
Wilfried Rudloff, Hessisches Institut für Landesgeschichte

Das Hessische Institut für Landesgeschichte (HIL) in Marburg veranstaltet zusammen mit dem Institut für Geschichte der TU Dresden am 19. und 20. September 2024 eine Tagung zur bundesdeutschen Migrationsgeschichte. Forschende sind herzlich eingeladen, bis zum 16. Februar 2024 Vorschläge für Tagungsbeiträge aus aktuellen und innovativen Forschungskontexten einzureichen.

CfP: Abgrenzungen, Verflechtungen, Aufbruch? Neue Perspektiven auf Migration und Einwanderungsgesellschaft in Geschichtswissenschaft und Public History

In den meisten europäischen Ländern wird derzeit wieder intensiv um die Deutung und Ausgestaltung der Einwanderungsgesellschaft gerungen. Dabei geht es nicht mehr so sehr um das Ob, sondern vor allem um das Wie des Zusammenlebens. Ein verbreitetes Muster ist die Differenzziehung zwischen „Einheimischen“ bzw. „Mehrheitsgesellschaft“ einerseits und Migrant:innen andererseits. Dieses Muster erscheint deshalb so verfestigt, weil es aus unterschiedlichen Richtungen gespeist wird. Offensichtlich ist zum ersten eine Instrumentalisierung in der politischen Diskussion um eine stärkere Kontrolle von Migration, mit der eine Krisenwahrnehmung oft erst produziert und vorangetrieben wird. Zum zweiten nutzt auch eine politisch engagierte Migrationspublizistik das Muster der Differenzziehung, um im Sinne eines strategischen Essentialismus ein Mehr an Anerkennung und Teilhabe für Migrant:innen einzufordern. Zum dritten bestehen Asymmetrien der Überlieferung: Die Behördenperspektive ist in Quantität und Erschließungstiefe dominant, während Veröffentlichungen, Ego-Dokumente oder Interviews von Migrant:innen erst in den letzten Jahren stärker nachgefragt und gesammelt werden. Und viertens bedarf es vielfältiger Sprachkenntnisse und einer großen Vertrautheit mit den jeweiligen Institutionen und Akteur:innen, um über einzelne, ethnisch definierte communities hinaus verschiedene migrantische Perspektiven berücksichtigen zu können.

Die geplante Tagung möchte einen Beitrag dazu leisten, mit Erkenntnissen aus Migrationsforschung, Zeitgeschichte, Landesgeschichte, Geschichtsdidaktik und Public History dieses etablierte Muster der Differenzziehung aufzubrechen, unterschiedliche Forschungs- und Diskussionsstränge miteinander zu vernetzen und weiterführende Konzepte zu erarbeiten.

Hierzu lässt sich auf drei emergente, aber noch voneinander isolierte Ansatzpunkte der jüngeren Forschung aufbauen. Die Reflexive Migration Studies fragen danach, auf welche Weise einzelne Gruppen von Migrant:innen durch staatliche und rechtliche Regulierungen, durch epistemische, politische und kulturelle Zuschreibungen, aber auch durch diasporische Selbstbeschreibungen konstruiert und voneinander abgegrenzt wurden. Demgegenüber steht die Beschäftigung mit der Multidirektionalität bzw. „Autonomie“ von Migration, die unter Betonung von Bewegung und Agency aus einer Bottom-up-Perspektive die unterschiedlichen Motivlagen, Wege und Spurwechsel von Migrant:innen herausarbeitet. Schließlich ist der Ansatzpunkt einer entangled history unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu nennen, der das plurale und aus mehreren Zeitschichten aufgebaute Spektrum von Migrationsprozessen berücksichtigt und sowohl direkte Bezugnahmen und Interaktionen als auch indirekte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Migrant:innengruppen zum Gegenstand hat.

Gestützt auf diese drei Ansatzpunkte möchte die geplante Tagung Verflechtungen, Interaktionen, Interdependenzen und Korrespondenzen in der Einwanderungsgesellschaft bzw. Migrationsgesellschaft für die Zeit seit 1945 untersuchen. Erwünscht sind Beiträge zu folgenden Fragestellungen und Themenfeldern:
- Welche Regeln und Praktiken der Abgrenzung führten zur herkömmlichen Untergliederung nach verschiedenen Migrant:innengruppen? Welche migrantische Binnenhierarchien wurden dabei geschaffen?
- Welche Erfahrungsanalogien, parallelen Lernprozesse oder Übereinstimmungen in sozialen Lagen gab es zwischen diesen Gruppen?
- In welchem Verhältnis stehen staatliche Regulierung und migrantische Selbstorganisation bei der Differenzierung und Segmentierung von Migrant:innengruppen? Wo finden sich – gegenläufig hierzu – Ansätze, autonom und heteronom konstruierte Grenzziehungen zwischen Migrant:innengruppen aufzuweichen und zu überwinden?
- Unter welchen Umständen lassen sich hermetische Begriffstypen und Kollektivsingulare wie Vertriebene, Arbeitsmigrant:innen, Asylsuchende, Aussiedler:innen oder Flüchtlinge aufbrechen und in welchen Konstellationen erweisen sie sich als robust?
- Wie weit reichte das Trennende und wie weit das Gemeinsame in Lebens- und Erfahrungsbereichen wie Arbeitswelt und Betrieb, Wohnen, Politik und Partizipation, Schule und Bildung, Freizeit und Sport?
- Wie gehen aktuelle geschichtskulturelle Angebote auf die Komplexität der Einwanderungsgesellschaft ein und wie lassen sie sich unter Berücksichtigung der didaktischen Prinzipien von Multiperspektivität, Alterität, Gegenwartsbezug und Erfahrungsorientierung im schulischen Geschichtsunterricht sowie in der historisch-politischen Bildung verbinden?

Die Tagung steht in inhaltlichem und organisatorischen Zusammenhang mit dem Quellen-Editionsprojekt „Arbeitsmigration in Hessen nach 1945“ am Hessischen Institut für Landesgeschichte in Marburg. Daher sind Beiträge, die in ihren empirischen Teilen auf die Arbeitsmigration und/oder auf die Situation in Hessen eingehen, besonders gerne gesehen. Darüber hinaus sind aber auch Beiträge willkommen, die einen bundesdeutschen und europäischen Vergleich ermöglichen.

Bitte senden Sie eine kurzen CV von einer halben Seite sowie ein Abstract Ihres geplanten Beitrags (ca. 250 Wörter) bis 16.2.2024 an migratio@uni-marburg.de

Gerne beantworten wir Ihnen unter dieser Adresse auch Ihre Fragen. Reisekosten werden im üblichen Rahmen übernommen. Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge ist geplant.

Kontakt

Prof. Dr. Sabine Mecking, Dr. Wilfried Rudloff, PD Dr. Stephanie Zloch
migratio@uni-marburg.de
Hessisches Institut für Landesgeschichte (HIL)
Wilhelm-Röpke-Str. 6c
35032 Marburg

Redaktion
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